Montag, 16. September 2024

[Rezension] Mirage - Matt Ruff

[Rezension] Mirage - Matt Ruff


Titel: Mirage
Autor: Matt Ruff
Seitenzahl: 496
Verlag: dtv

ISBN-10: 3423215941
ISBN-13: 978-3423215947
Erscheinung Erstausgabe: 01.03.2014
Genre: Science Fiction
Handlungsort: Alternativwelt, größtenteils Bagdad


Klappentext:

Das Attentat erschüttert die Vereinigten Arabischen Staaten bis ins Mark: Am 9.11.2001 fliegen zwei Flugzeuge in die Türme des Welthandelszentrums von Bagdad, ein drittes ins arabische Verteidigungsministerium in Riad, ein viertes stürzt in der Wüste ab. Die wirtschaftliche Supermacht sagt dem Terror den Kampf an und besetzt die Ostküste von Amerika – ein Entwicklungsland und die mutmaßliche Heimat der Terroristen. Doch acht Jahre später behauptet ein verhafteter Attentäter Unglaubliches: In Wahrheit seien nicht die Arabischen Staaten die Großmacht, sondern Amerika!


Cover und Gestaltung:

Auf dem Cover steht in Großbuchstaben der Titel Mirage, wobei das "I" durch einen Turm dargestellt wird, in den ein Flugzeug fliegt. Vermutlich einer der Türme des fiktiven Welthandelszentrums in Bagdad. Als Spiegelbild des Titels ist die Silhouette von New York ebenfalls mit einem anfliegenden Flugzeug zu sehen. Ein sehr schönes Cover und besser passen könnte es für die Geschichte nicht.


Meine Meinung:

Mich hat bei diesem Buch die originelle Idee einer Alternativwelt, in der weltgeschichtlich reale Ereignisse völlig gepiegelt werden, interessiert. Matt Ruff entwirft eine Welt mit umgekehrten Vorzeichen der Macht. So gibt es in diesem Buch "Die Vereinigten Arabischen Staaten" (VAS), die die vorherrschende Großmacht sind. Am 9 November 2001 wird ein Terroranschlag auf diese verübt, in dem christliche Fundamentalisten mit Flugzeugen in die Zwillingstürme in Bagdad fliegen. In einem Gegenschlag rufen die angegriffenen VAS zum "Krieg gegen den Terror" auf, marschieren in die Ostküste Amerikas ein und erklären Washington zur "Grünen Zone".

Und auch ansonsten wird die Geschichte von Matt Ruff völlig auf den Kopf gestellt. Die VAS war es, die Europa vom Nationalsozialismus befreite und Israel liegt nach dem 2. Weltkrieg in Norddeutschland. Osama bin Laden ist Senator und Vorsitzender des Geheimdienstausschusses und Sadam Hussein ist Gewerkschaftsführer und Bandenboss in Bagdad. Auf der anderen Seite begegnen wir auch u.a. Dick Cheney und Donald Rumsfeld in anderen Positionen.

Zur Orientierung des Lesers in dieser anderen Welt fügt Matt Ruff zwischen den Kapiteln immer wieder Einträge aus der "Bibliothek von Alexandria" ein, dem Pendant von Wikipedia. Dies ist wirklich sehr gut gemacht. Man sollte diese Einträge aber auch lesen wie Lexikoneinträge zum Verständnis dieser Welt und der eigentlichen Handlung, aber nicht versuchen alle Daten und Personen dort zu erfassen, sonst fühlt man sich bald völlig erschlagen mit Fakten. Die Rechercheleistung, um eine alternative Welt so kohärent gespiegelt aufzubauen, muss jedenfalls enorm gewesen sein.

Die eigentliche Handlung des Buches ist dann eher ein Spionagethriller. Aber sie ist auch vor allem Mittel um die Alternativwelt zu erleben, als als eigenständige Handlung zu sehen.
So steigt das Buch 8 Jahre nach den Anschlägen im Jahr 2009 ein. Der Krieg gegen Amerika ist immer noch nicht beendet, die Bemühungen Amerika zu zivilisieren und demokratisieren wurden von fundamentalistischen christlichen Gruppierungen immer wieder zunichte gemacht und im eigenen Land ist die Terrorgefahr unvermindert groß.
In dieser Situation begleiten wir die 3 arabischen Anti-Terror-Ermittler Mustafa, Amal und Samir, die für die Homeland Security (Halal) arbeiten. Als diese wieder einmal einen christlichen Selbstmordattentäter verhaften, erzählt er ihnen im Verhör eine unglaubliche Geschichte: In Wirklichkeit sei Amerika die Großmacht und die arabischen Staaten rückwärtsgewandte Dritte-Welt-Länder. Eine gefundenen "New York Times" Zeitung vom 12.09.2001 scheint das zu bestätigen und Mustafa, Amal und Samir werden von höchster Stelle der Regierung beauftragt diesen Fall zu untersuchen. Es werden weitere Artefakte aus der vermeintlichen Parallelwelt entdeckt und die Ermittler geraten immer mehr zwischen die Fronten von verschiedenen einander untergrabenden Geheimdiensten und Verbrechern.

Die Geschichte verläuft dabei aber nicht stringent, sondern ist sehr komplex und biegt auch immer wieder in Nebenhandlungen ab, die dem Leser ein besseres Verständnis der Alternativwelt aber auch der Heterogenität von ethischen Gruppen und Interessen in solch einem großarabischen Staatenbund geben sollen. Dies tut Matt Ruff durchaus sehr detailverliebt und sogar bis hin zur Popkultur. Serien Hits wie der Echtzeit-Thriller "24/7 Jihad" oder "Shafiq: Er ist Sunnit. Hassan: Er ist Schiit. Sie kämpfen gegen das Verbrechen" laden zum Schmunzeln ein.

Durch die Hintergrundgeschichten seiner Protagonisten zeigt Matt Ruff aber auch sehr gut ein Land zwischen aufgeklärtem Leben und Bestrebungen zu weiterer Säkularisierung des Staates auf der einen Seite und einer reaktionären Gegenbewegungen, die wieder eine größere Rolle religiöser Dogmen im Leben der Bürger verankern will, auf der anderen Seite. Ganz so wie es heute mittlerweile in der westlichen Welt, besonders in den USA, auch wieder ist.
Die zahlreichen realen Figuren der Zeitgeschichte treten zwar in anderen Funktionen auf, aber ihr Charakter bleibt zum Glück auch in der Alternativwelt gleich. Eine besonders pro- oder antiamerikanische Deutung spürt man dem Buch nicht an, so dass sich jeder seine eigenen Gedanken dazu machen kann. Dazu regt es in jedem Fall an vielen Stellen an.

Das Buch hat mir insgesamt richtig gut gefallen bis das Ende kam. Dort gibt Matt Ruff eine Erklärung für die Existenz der Parallelwelt. Diese muss natürlich übersinnlich sein, aber driftet hier in so total platte Fantasy ab, dass es irgendwie überhaupt nicht zu der ansonsten so komplexen und detailverliebten Handlung passt. Dies hat mich etwas enttäuscht und da hätte ich mir ein anderes Ende gewünscht.


Fazit:

"Mirage" ist ein bemerkenswerter und komplexer Alternativweltroman, in dem die westliche Perspektive mit der arabischen vertauscht wird und der beim Lesen einige Knoten im Kopf verursacht, aber auch gerade deswegen besonders faszinierend ist und nachdenkenlich macht. Verknüpft wird das Ganze mit einer spannenden Spionagegeschichte. Nur das Ende und die Erklärung für die Parallelwelt driftete für mich in zu platte Fantasy ab.

 



Originalität    
  
 Umsetzung    

 Schreibstil     

 Charaktere    

    Tempo        
      
     Tiefe          
  
  Lesespaß      



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen